Blutalkohol, Vol. 43 No. 6, November 2006, S. 499

Stehen die Einschätzungen des blutabnehmenden Arztes: „Der Beschuldigte steht deutlich unter Alkoholeinfluss“ und die BAK zum Tatzeitpunkt von 0,52 %o in Wider-spruch, wird das unsichere Gehen des Beschuldigten mit einem „Hinken“ erklärt so-wie die verwaschene Sprache mit einer generell undeutlichen Aussprache des Beschuldigten erläutert, ist nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ der dringende Tatverdacht eines Vergehens nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 3 StGB zu verneinen und eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO nicht gerechtfertigt.

Amtsgericht Hanau, Beschluss vom 20. Juli 2006 – 52 Gs 124/06 (3725 Js 16340/06-StA Mainz) –

Aus den Gründen:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft M., dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, wird zurückgewiesen, weil nach Auffassung des beschließenden Gerichts derzeit kein dringender Tatverdacht eines Vergehens der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB gegeben ist.
Es kam am Sonntag, dem 16.04.2006, gegen 22.30 Uhr, zum Verkehrsunfall zwischen dem Beschuldigten als Fahrer des Pkw der ON 02 und der Zeugin als Fahrerin des Pkw ON 01. Es entstand geringer Sachschaden an beiden Fahrzeugen. Der Beschuldigte wies um 23.45 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von nachweisbar 0,52 Promille auf. Eine Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Vorfalls um 22.30 Uhr wurde nicht vorgenommen. Es ist deshalb vom Entnahmewert auszugehen, zumal nicht sicher ist, ob die Resorptionsphase beendet war. Es müssen deshalb erhebliche zusätzliche Indizien festgestellt werden, die mit einer für eine Verurteilung sicheren Prognose den schweren Eingriff der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu begründen geeignet sind. Der Beschuldigte war grundsätzlich vorfahrtsberechtigt (rechts vor links) an der Unfallstelle. Die unbestrittene Tatsache, dass der Beschuldigte vor dem Unfallereignis das Fahrlicht an seinem Pkw ausgeschaltet hatte, hat dieser plausibel erläutert. Es war also eine bewusst herbeigeführte Verkehrsordnungswidrigkeit, und keine – wie zunächst vermutet – alkoholbedingte Unaufmerksamkeit oder Nachlässigkeit auf Seiten des Beschuldigten. Deshalb wird ihm sicherlich ein erhebliches Mitverschulden an der Verursachung des Verkehrsunfalls zur Last gelegt werden können (mindestens zivilrechtlich). Sonstige Ausfallerscheinungen bei den motorischen Bewegungen liegen zwar vor, das unsi-chere Gehen nach Kehrtwendung wird aber mit einem „Hinken“ erklärt, die verwaschene Sprache mit einer generellen undeutlichen Aussprache des Beschuldigten erläutert, bleiben noch die unsichere Finger-Finger-Probe und die Einschätzung des blutentnehmenden Arztes, dass der Beschuldigte insgesamt „deutlich“ unter Alkoholeinfluss stand. Diese Einschätzung widerspricht dem geringen Alkoholwert des Beschuldigten.
Es handelt sich vorliegend um einen klaren Grenzfall, der eine sorgfältige Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung erfordert. Im eher pauschalen Ermittlungsverfahren können die einzelnen Umstände des Unfallgeschehens nur lückenhaft und oberflächlich geklärt/festgestellt werden, weshalb sich dieser Umstand nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zunächst dahin auswirkt, dass nicht von einem dringenden Tatverdacht ausgegangen werden kann.

(Mitgeteilt von Rechtsanwalt Uwe Lenhart, Frankfurt am Main)