NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht, 7 2007, 10. Juli 2007, S. 379:

StVG § 25 I 1; BKatV § 4 II 2

Die Anordnung eines Fahrverbots gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG wegen grober Verlet-zung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers kommt auch bei einer die Voraussetzungen des § 4 II 2 BKatV erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, auf Grund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste. (Leitsatz des Einsenders)

AG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.10.2006 – 903 OWi – 434 Js 13759/06

Zum Sachverhalt: Der Betr. befuhr am 3.11.2005 um 21.52 Uhr in L die L 3014 in Höhe H vor der Bushaltestelle in Richtung K als Führer des Pkw… Dabei überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h infolge Außerachtlassung der nötigen Aufmerksamkeit um 26 km/h. Die festgestellte Geschwindigkeit betrug somit 86 km/h (abzüglich einer Toleranz von 3 km(h). Die Messung erfolgte mit dem Lichtschrankengerät ESO 1.0 Typ µ P 80. Vor der Messstelle befindet sich nur ein einziges Verkehrsschild, nämlich 60 km/h – Geschwindigkeitsbegrenzung mit Zusatz „Lärmschutz“ – , das am rechten Fahrbahnrand unmittelbar am Ende der Einfädelspur vom Zubringer auf die L steht. Der Betr. ist von Beruf Rechtsanwalt. Das Verkehrszentralregister weist hinsichtlich seiner Person eine Eintragung auf: Bußgeldbescheid vom 23.2.2005 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung am 24.1.2005 innerhalb geschlossener Ortschaft um 28 km/h. Es wurde eine Geldbuße von 60 Euro angeordnet.
Der Betr. wurde wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 41 II, 49 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 70 € kostenpflichtig verurteilt.

Aus den Gründen: Der Betr. hat sich einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach den §3 41 II, 49 StVO, 24 StVG schuldig gemacht.

1. Der Betr. hat zur Frage des Verschuldens durch seinen Verteidiger vortragen lassen, er sei auf die L 3014, auf der sich die Messstelle befindet, von der autobahnähnlich ausgebau-ten Schnell- und Bundesstraße 8 aufgefahren. Um sich, von der Schnell- bzw. Bundesstraße 8 kommend, in den fließenden Verkehr auf der L einordnen zu können, sei es erforderlich, zunächst einmal den dort fahrenden Verkehr zu beobachten und im Auge zu behalten und sodann das Fahrzeug entsprechend zu beschleunigen, um eine Behinderung des fließenden Verkehrs auf der L möglichst zu vermeiden. Im Zuge der nötigen Fahrzeugbeschleunigung und der erforderlichen Konzentration auf den Einfädelvorgang habe er das eine am rechten Fahrbahnrand unmittelbar nach dem Zubringer auf die L befindliche geschwindigkeitsbe-grenzende Verkehrsschild (zulässige Geschwindigkeit 60 km/h) schlicht und ergreifend übersehen. Es komme hinzu, dass das Verkehrszeichen sich direkt am Ende der Einfädelspur befinde, wo die Aufmerksamkeit des Fahrers noch auf den fließenden Verkehr in der L (Beobachtung im Rückspiegel) gerichtet sei. Es habe sich somit um ein sogenanntes Augen-blicksversagen gehandelt, das heißt, um eine einfache Fahrlässigkeit.

Dieser Wertung schließt sich das Gericht unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Aus-führungen und aufgestellten Kriterien des BGH im Beschluss vom 11.9.1997 – 4 Str 638/96 an. Der Betr. hat offensichtlich infolge einfacher Fahrlässigkeit ein (einziges) die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen. Es lagen zudem keine weiteren Anhaltspunkte vor, auf Grund derer sich die Geschwindigkeitsüberschreitung aufdrängen musste.

2. Die Verhängung einer Geldbuße von 70 Euro erschien daher schuldangemessen.
Dabei wurde die vorgenannte einschlägige Voreintragung des Betr. im VZR hinreichend zu seinen Lasten berücksichtigt.

3. Von der Anordnung eines Fahrverbots nach § 4 II 2 BKatV hat das Gericht aus den vorgenannten Gründen abgesehen.
Die Voraussetzungen für ein Absehen vom indizierten Fahrverbot nach § 4 II 2 BKatV sind geringer als beim Regelfahrverbot nach § 25 I 1 StVG.
Der in der o.g. Vorschrift normierte zweite Verstoß muss subjektiv grob pflichtwidrig sein. Dies ergibt sich schon aus dem Sinn und Zweck des § 25 StVG (Fahrverbot), der von grober und beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers spricht.
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor; da lediglich ein Augenblicksversagen, somit nur leichte Fahrlässigkeit, gegeben ist (s.o.), kann von “Beharrlichkeit” nicht die Rede sein.
Dies hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung so gesehen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl., § 25 StVG Anmerkungen 23 und 24 m. w. Nachw.).
Da vorliegend die Geschwindigkeitsbegrenzung zudem “lediglich” “aus Lärmschutzgründen” (so das Zusatzschild) angeordnet worden ist, kann selbst grob fahrlässiges Nichtbeachten eines solchen Verkehrszeichens nicht unbedingt als grobe Pflichtverletzung zu würdigen sein (aaO Anmerkung 22), da der § 25 StVG zur Hebung der Verkehrsicherheit bzw. zur Bekämpfung schwerer Unfälle eingeführt wurde.

(Mitgeteilt von RA und FA für Straf- und Verkehrsrecht U. Lenhart, Frankfurt a.M.)