DAR Deutsches Autorecht, 8/2003, S. 384 f.:
§ 3 Abs. 4 StVG (Keine Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde im Erteilungsverfahren)
Die Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde bei der Beurteilung der Frage, ob der Betroffene die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 11 FeV besitzt, i.S.v. § 3 Abs. 4 StVG tritt nur im Rahmen eines Verfahrens auf Entziehung einer Fahrerlaubnis ein, nicht jedoch in dem Fall der Erteilung einer Fahrerlaubnis. (Leitsatz des Einsenders)
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 7.5.2003 (12 G 1123/03 (2))
Sachverhalt: Der Antragsteller ist kroatischer Staatsangehöriger und Inhaber einer kroatischen Fahrerlaubnis. Er hält sich seit mindestens 1991 im Bundesgebiet auf. Der Antragsteller wurde mit rechtskräftigem Urteil des AG Hersbruck vom 18.12.2002 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Bereits zuvor war der Antragsteller im Zeitraum von Oktober 1999 bis Oktober 2001 dreimal wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Diesen Verurteilungen lag jeweils zugrunde, dass der Antragsteller im öffentlichen Straßenverkehr einen Pkw führte, obwohl er die hierfür erforderliche deutsche Fahrerlaubnis nicht besitzt. Weiterhin liegen gegen ihn rechtskräftige Bußgeldbescheide vor, die im Zeitraum Februar 1996 bis September 1998 ergangen sind, wegen Überholens trotz Überholverbots, wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 23 km/h, wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 31 km/h und wegen Überschreitens der zulässigen Achslast. Das AG Hersbruck sah in seinem Urteil von der in der Anklage beantragten Entziehung der Fahrerlaubnis ab, weil sich der Antragsteller durch die abgeurteilte Tat nicht als ungeeignet zum Führen von Kfz erwiesen habe; daran änderten auch die festgestellten Vorstrafen nichts. Mit Bescheid ohne Datum lehnte die Antragsgegnerin den am 9.10.2002 gestellten Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse ìBì ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der vom Antragsteller begangenen Verkehrsverstöße seien Bedenken an seiner Fahreignung gegeben. Der Antragsteller sei deshalb anlässlich einer Vorsprache darauf hingewiesen worden, dass gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der Eignungszweifel erforderlich sei. Nachdem der Antragsteller dies jedoch abgelehnt habe, habe er zu erkennen gegeben, dass er Mängel zu verbergen versuche, die auf seine Ungeeignetheit zum Führen von Kfz schließen ließen. Das sich das Urteil des AG Hersbruck ausschließlich mit dem Vorfall vom 6.8.2002 beschäftige, entfalte es keine Bindungswirkung für das Verwaltungsverfahren. Der Antragsteller legte gegen den an seinen Bevollmächtigten am 10.3.2003 übermittelten Bescheid am 11.3.2003 Widerspruch ein, der bisher nicht beschieden wurde.
Der Antragsteller hat am 11.3.2003 den vorliegenden Eilantrag gestellt. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, der ablehnende Bescheid der Antragsgegnerin sei offensichtlich rechtswidrig. Da die Antragsgegnerin zu Unrecht von dem Antragsteller die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert habe, sei sie nicht berechtigt, aus dessen Nichtvorlage auf eine fehlende Eignung des Antragstellers zu schließen. Soweit die Antragsgegnerin an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kfz zweifele, stehe dem entgegen, das die Fahreignung des Antragstellers im Urteil des AG Hersbruck vom 18.12.2002 bejaht worden sei und die Antragsgegnerin gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG an diese Beurteilung gebunden sei. Zwar gelte die genannte Vorschrift unmittelbar nur im Rahmen eines Entziehungsverfahrens; die Vorschrift sei jedoch auch in dem hier gegebenen Fall einer Ersterteilung einer Fahrerlaubnis anwendbar. Sinn und Zweck von § 3 Abs. 4 StVG sei es, im Hinblick auf die Eignung zum Führen von Kfz den Vorrang des Strafverfahrens gegenüber Entscheidungen der Verwaltungsbehörde zu gewährleisten. Ein inhaltlicher Unterschied hinsichtlich des Begriffs der Eignung im Entziehungs- und Erteilungsverfahren bestehe jedoch nicht, so dass auch hier eine Bindungswirkung eintrete. Der Antragsteller behauptet, er sei zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes auf die Erteilung einer Fahrerlaubnis angewiesen.
Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, eine Bindungswirkung gem. § 3 Abs. 4 StVG durch das Urteil des AG Hersbruck sei nicht eingetreten, da die Fahrerlaubnisbehörde einen umfassenderen Sachverhalt zu beurteilen habe. Bei dem strafgerichtlichen Urteil stehe die eigentlicheStraftat im Vordergrund, die anderen Verkehrsüberschreitungen seien nur nachrangig von Bedeutung; dem gegenüber müssten im Verwaltungsverfahren alle Delikte gleichrangig beurteilt werden. Den Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das VG abgelehnt.
Aus den Gründen: Der Antrag ist bei sinngemäßer Auslegung darauf gerichtet, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, gem. § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung des Antragstellers zu beauftragen, da der Antragsteller nur nach Ablegung einer erfolgreichen Fahrerlaubnisprüfung die von ihm begehrte Fahrerlaubnis erhalten kann.
Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Der Antragsteller würde bei einem erfolgreichen Anordnungsverfahren so gestellt, als ob er in der Hauptsache obsiegt hätte, da auch in der Hauptsache nur eine Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung, nicht aber die Erteilung der Fahrerlaubnis möglich ist. Eine derartige Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch mit Rücksicht auf das vorläufige Wesen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich nicht zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht und es für den Rechtsschutzsuchenden schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, da ihm sonst schwerwiegende Nachteile drohen, die ihm auch unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen unter keinen Umständen zugemutet werden können (vgl. HessVGH, Beschluss vom 17.5.1999 – 2 TZ 1029/99; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 123, Erl. 14 m.w.N.). Diese Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
Es besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Erteilung eines Prüfauftrages an die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr gem. § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV hat. Der Antragsteller hat nämlich nicht nachgewiesen, dass er sämtliche hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Da der Antragsteller im Besitz einer kroatischen Fahrerlaubnis ist und bezogen auf den Tag der Stellung seines Antrags auf Ersterteilung einer deutschen Fahrerlaubnis am 9.10.2002 sich mehr als drei Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, sind gem. § 31 Abs. 1 Satz 2 FeV für die Erteilung der Fahrerlaubnis die allgemeinen Vorschriften der §§ 7 f. FeV anwendbar, mit Ausnahme der Vorschriften über die Ausbildung. Zwar hat der Antragsteller die gem. § 12 Abs. 3 FeV geforderte Sehtestbescheinigung sowie den gem. § 19 Abs. 3 FeV erforderlichen Nachweis über die Teilnahme an einer Unterweisung in lebensrettenden Sofortmaßnahmen vorgelegt. Der Antragsteller hat jedoch die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr nicht ausgeräumt. Die Eignungszweifel ergeben sich daraus, dass der Antragsteller bereits mehrfach gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat. So wurde er bereits viermal wegen der Straftat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verurteilt. Darüber hinaus ergingen gegen ihn wegen verkehrsrechtlicher OWi vier Bußgeldbescheide. Nach einer Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes an die Antragsgegnerin vom 11.2.2003 ergeben die im Verkehrszentralregister erfassten Entscheidungen nach der Anlage 13 zu § 40 FeV insgesamt 31 Punkte. Der Antragsteller besitzt also eine Neigung, sich über bestehende Verkehrsvorschriften hinweg zu setzen. Die sich hieraus ergebenden Zweifel an seiner Eignung zum Führen eines Kfz kann der Antragsteller nur durch die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausräumen (vgl. § 11 Abs. 3 FeV).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Antragsgegnerin bei der Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller die erforderliche Eignung besitzt (§ 11 FeV) nicht gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG an die Ausführungen im Urteil des AG Hersbruck vom 18.12.2002 gebunden. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann die Verkehrsbehörde im Rahmen eines Entziehungsverfahrens u.a. hinsichtlich der Eignung zum Führen von Kfz nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers vom Inhalt eines strafgerichtlichen Urteils abweichen, wenn dieses sich auf den Sachverhalt bezieht, der Anlass für das Tätigwerden der Verkehrsbehörde ist. Die somit nach dieser Vorschrift für die Verkehrsbehörde bestehende Bindungswirkung greift im vorliegenden Fall jedoch nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift tritt die Bindungswirkung der Verkehrsbehörde nur im Rahmen eines Verfahrens auf Entziehung einer Fahrerlaubnis ein. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht die Entziehung der kroatischen Fahrerlaubnis des Antragstellers, sonder die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis. Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann auch nicht analog auf den Fall der Erteilung einer Fahrerlaubnis angewendet werden. Gegen eine solche Analogie spricht der Umstand, dass die Regelung Ausnahmecharakter besitzt. Durch die in ihr vorgeschriebene Bindungswirkung wird die Verkehrsbehörde nämlich ausnahmsweise daran gehindert, die Voraussetzungen für ein behördliches Tätigwerden eigenverantwortlich zu prüfen und zu entscheiden. Weiterhin ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG dessen analoge Anwendung auf den hier zu entscheidenden Fall. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (durch § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (durch § 3 StVG i.V.m. § 46 FeV) eingeräumte Befugnis, einem Kraftfahrer bei Ungeeignetheit die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass überflüssige und aufwändige Doppelprüfungen unterbleiben und dass es nicht zu widersprechenden Entscheidungen kommen kann (BVerwG, NJW 1989, 1622). Zwar kann es auch in Fällen der vorliegenden Art zu einer Prüfung der Eignung sowohl im strafgerichtlichen Urteil als auch im behördlichen Verfahren kommen, nicht aber zu widersprechenden Entscheidungen. Derartige widersprechende Entscheidungen liegen nicht bereits dann vor, wenn die strafgerichtliche Eignungsbeurteilung anders ausfällt als die der Verwaltungsbehörde, sondern nur dann, wenn eine abweichende Rechtsfolge gesetzt wird. Dies wäre z.B. der Fall, wenn das Strafgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen hat, die Verwaltungsbehörde aber gleichwohl eine Entziehungsverfügung erlässt. Eine solche abweichende Rechtsfolge ist in dem vorliegenden Fall jedoch nicht möglich. Gegenstand des strafgerichtlichen Urteils des AG Hersbruck war die Frage der Entziehung der kroatischen Fahrerlaubnis des Antragstellers. Demgegenüber ist Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens die Frage, ob dem Antragsteller eine deutsche Fahrerlaubnis zu erteilen ist.
(Mitgeteilt von Rechtsanwalt Uwe Lenhart, Frankfurt a.M.)